Weihnachtsmann Klaus kaut nervös an seinen Fingernägeln. Gerade hat er den Investment-Pitch für die Wichtel-App von Engel Gabriel via interaktivem Link an CocaRola versendet. Ob die Präsentation, die seine Digitalisierungsbeauftragte Marie gemeinsam mit dem Start-up pretono erstellt hat, tatsächlich Wirkung zeigt und sie die 400.000 XmasDollar Investment erhalten werden? Im Sekundentakt drückt Klaus die Tastenkombination command + R auf seinem XmasBook undist dabei mächtig stolz, dass er sich diesen Refresh-Befehl gemerkt hat. Seitdem er gemeinsam mit Knecht Ruprecht, Erzengel Gabriel, Himmelspförtner Petrus, Elfen-Millenial Marie und Ober-Elf Findus die digitale Xmas-Transformation gestartet hat, hat er jede Menge dazugelernt. 

Zwanzig Minuten später hat Klaus bereits die ersten Krampfanfälle in den Fingern. CocaRola hat noch immer nicht geantwortet – und das, obwohl die Marketing-Chefin beim letzten Boom-Gespräch versprochen hatte, sich sofort nach Erhalt zu melden. „Jetzt mach dir mal keine Sorgen, Klaus“, versucht Elfin Marie ihren Chef zu beruhigen. „Frau Zisch ist eine vielbeschäftigte Frau und wird sich bestimmt bald melden. Außerdem können wir dank des Analysetools von pretono ja ganz genau auswerten, wann und wie lange sie sich welche Slides, Links und Informationen unseres Pitches angesehen hat. Komm jetzt besser mit in die Geschenkewerkstatt, Findus braucht dringend unsere Hilfe.“ Klaus seufzt. Es ist ihm immer noch ein Rätsel, wie diese Technik funktioniert. Doch Marie hatte recht – sie müssen sich ranhalten, um alle ihre Pläne noch umsetzen zu können, bevor die da oben dazwischenfunken und die digitale Transformation an sich reißen.

Marie und Klaus laufen vom Besprechungsraum des Xmas-Digitalisierungsteams durch die verwinkelten Gänge zur Geschenkewerkstatt. Dort angekommen, können sie ihren Augen kaum trauen. Von der Werkstatt ist kaum noch etwas zu sehen. Einzig Ober-Elf Findus ist in der Geschenkeflut zu entdecken, die nun den ganzen Raum ausfüllt. Flink scannt er mit der Beta-Version der Wichtel-App auf seinem Xmas-Phone die wild verstreuten Päckchen und versucht, diese möglichst smart zu kategorisieren. „Was ist denn hier passiert?“, entfährt es Klaus. Findus fährt ruckartig herum. Als er den Weihnachtsmann entdeckt, springt er von einem Geschenkeberg zum nächsten, bis er keuchend bei Klaus und Marie ankommt. „Die Idee mit den Preloved-Presents ist bei den Elfen-Kollegen so gut angekommen, dass sie diese auf ihren Accounts bei Fakebook, InstaFram, TikTak, BeTrue, Glitter, Muskodon & Co geteilt haben. Es gibt sogar eine eigene WhatsThat-Gruppe, die zum Spenden von Geschenken aufruft“, sprudelt es aus Findus heraus. Klaus versteht wieder einmal nur Bahnhof. „Meine Idee ist viral gegangen und nun haben uns tausende User aus der Community Geschenke vergangener Weihnachtsfeste geschickt. Der Sustainability-Gedanke hat voll eingeschlagen.“

„Das ist ja alles schön und gut. Aber was machen wir jetzt mit den ganzen Päckchen? Wir müssen doch die Wünsche von den Wunschlisten erfüllen“, fuchtelt Klaus aufgeregt mit den Armen. „Und genau da kommt die Wichtel-App ins Spiel“, ruft Erzengel Gabriel, während er hinter einem Berg Preloved-Presents vorbeifliegt. Er landet so schwungvoll bei Klaus, Marie und Findus, dass ein paar seiner goldenen Engelshaare an den Tannenzweigen, die als Dekoration über der Eingangspforte zur Geschenkewerkstatt platziert sind, hängen bleiben. „Ich bin bereits dabei, der Beta-Version ein Update zu verpassen und die eingesendeten Geschenke mit den Wunschzetteln zu matchen. Wir kreieren quasi das Xinder für Geschenke.“ „Geniale Idee!“, entfährt es Marie. „So können wir direkt skalieren und die App erhält einen noch größeren Mehrwert. CocaRola wird begeistert sein. Das müssen wir direkt in unseren Pitch einbauen.“ Marie will bereits losrennen, als Gabriel sie zurückhält. 

Der Erzengel druckst verlegen herum. „Was ist los? Nun sag schon!“, fordert Marie Gabriel ungeduldig dazu auf, endlich mit der Sprache herauszurücken. Gabriel wird ganz still. Schon wieder sind keine Kobolde zur Stelle, um seine schlechten Nachrichten zu überbringen. Er holt tief Luft, kneift die Augen zusammen und murmelt mit zusammengebissenen Zähnen: „Um die App entsprechend auszubauen und treffsichere Matches zu garantieren, benötigen wir mindestens zwanzig weitere Software-Developer. Das bedeutet, dass wir zusätzlich zu der bereits erbetenen Investition noch einmal 400.000 XmasDollar benötigen.“ Klaus, Marie und Findus weicht die Farbe aus den Gesichtern. „Das war’s dann wohl für uns. So viel wird CocaRola sicher nicht springen lassen und die da oben werden uns für verrückt erklären, wenn wir mit derartigen Forderungen kommen.“

Verzagt trommelt Klaus mit den Fingerspitzen auf ein kleines, tannengrün verpacktes Geschenk ein, als Knecht Ruprecht in die Werkstatt poltert: „Kommt schnell mit, wir haben eine Antwort von CocaRola!“ Ohne zu zögern laufen Klaus und seine himmlischen Helfer los. Im Besprechungsraum angekommen, öffnet Klaus die E-Mails auf seinem XmasBook.
Lieber Weihnachtsmann Klaus,
mit Freude darf ich Ihnen mitteilen, dass CocaRola die digitale Transformation von Weihnachten mit 400.000 XmasDollar unterstützt. Nach Rücksprache mit unserer Innovationsabteilung ist diese Investition allerdings an die Bedingung geknüpft, dass Weihnachten künftig auch im Metaverse stattfindet. Wir haben uns die Freiheit genommen, das Einverständnis von denen da oben einzuholen und freuen uns, Ihnen anbei den entsprechenden Beteiligungsvertrag zusenden zu dürfen. Wir können es kaum erwarten, gemeinsam mit Ihnen das Weihnachtsfest zu revolutionieren!
Mit lieben Grüßen
Champagna Zisch

Unglaublich, sie haben es geschafft! Mit CocaRola an Bord wird es ein Leichtes sein, einen weiteren Investor für die zweite Hälfte der benötigten Investmentsumme für die Wichtel-App zu finden. Klaus wippt vergnügt von den Fersen auf die Zehenspitzen und hält dabei seinen kugelrunden Bauch. Als er freudig in die niedergeschlagenen Gesichter seines Digitalisierungsteams blickt, wird ihm klar, dass er mal wieder etwas verpasst hat. „Weihnachten im Metaverse – ein wahr gewordener Albtraum.“ Gabriel lässt sich schwermütig in den leicht abgewetzten Ohrensessel fallen, in dem Klaus für gewöhnlich nach dem Mittagessen seinen Powernapp hält. „Ich verstehe ja, dass wir mit der Zeit gehen und uns anpassen müssen. Aber was hat eine Welt aus Nullen und Einsen mit dem Fest der Liebe zu tun?“ 

„Die gute Nachricht ist, dass die da oben bereits ihren Segen gegeben haben. Unsere Jobs sollten also vorerst safe sein“, überlegt Marie, während sich Gabriel und Ruprecht über die Sinnhaftigkeit des Metaverse ereifern. Klaus setzt sich indessen still und leise an sein XmasBook. Mittlerweile weiß er, wie er Informationen online abfragen und mit neuem Wissen glänzen kann. Mit spitzen Fingern tippt er den Begriff Metaverse in die Moogle-Suchleiste und öffnet den passenden Kikipedia-Eintrag: Ein Metaversum oder Metaverse ist ein digitaler Raum, der durch das Zusammenwirken virtuellererweiterter und physischer Realität entsteht. Hauptaspekt ist es dabei, die verschiedenen Handlungsräume des Internets zu einer Wirklichkeit zu vereinigen. Das Konzept wird häufig mit einem starken Fokus auf virtuelle Sozialität beschrieben; eine zukünftige Iteration des Internets, in Form persistenter, gemeinsam genutzter, virtueller 3D-Räume, die zu einem wahrgenommenen virtuellen Universum verbunden sind. Solche sollen Individualisierung und alltägliche Aktivitäten in einem vergleichbaren Maße ermöglichen wie die physische Wirklichkeit.

Klaus schluckt. Virtuelle Sozialität, persistente 3D-Räume, virtuelles Universum – was würde da wohl noch alles auf ihn zukommen? In den mehr als 150 Jahren, in denen er nun als Weihnachtsmann arbeitete, hatte sich kaum etwas verändert. Und nun sollte innerhalb einer Xmas-Saison alles anders werden. Nicht nur, dass er die Geschenke mit diesem ufomäßigen Tekla XAE-12 ausliefern muss – die da oben hatten doch tatsächlich einen Knebelvertrag mit diesem größenwahnsinnigen Milliardär Elon Dusk abgeschlossen, der Rudolph und die anderen Rentiere in Rente  geschickt hat – jetzt soll er auch noch in einer künstlichen Parallelwelt Weihnachtszauber verbreiten. Doch die da oben können sich auf etwas gefasst machen. So schnell würde Klaus nicht aufgeben – und er hatte auch schon einen Plan. 

Während Gabriel, Marie und Ruprecht aufgeregt miteinander diskutieren, schleicht sich Weihnachtsmann Klaus aus dem Besprechungsraum des Xmas-Digitalisierungsteams und läuft zum Schlittenparkplatz. Als er den silbern glänzenden Tekla XAE-12 sieht, stellen sich ihm die Nackenhaare auf. Dass er künftig nicht mehr mit Rudi und der Rentier-Gang auf Reisen gehen würde, tat ihm in der Seele weh. Doch darüber konnte er sich jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Er musste schnell ins weihnachtliche Innovationszentrum flitzen. Kurzerhand schnappt er sich also die Speed-Ski von Marie, stößt sich schwungvoll ab und wedelt geschmeidig den Tiefschneehang hinab. Auch wenn er über die Jahre immer mehr an Gewicht zugelegt hat und mittlerweile etwas schwerfällig durch die Schornsteine klettert – beim Skifahren fühlt er sich, als wäre die Zeit stehen geblieben. Beim Xmas-Hub angekommen, bremst Klaus so schwungvoll ab, dass es einen Schwung Puderschnee in Richtung Eingangstüre schleudert, wo Matthias Schlaumann bereits auf ihn wartet.

Matthias klopft sich den Schnee von seinem dunkelblauen Anzug, während ihm Klaus entschuldigend zunickt und die Speed-Ski in den dafür vorgesehenen Ständer stellt. „Die Außenwirtschaft Nordpol hat gerade eine Internationalisierungsoffensive gestartet“, verliert Matthias, der gerade erst seine Nordpol-Dependance im weihnachtlichen Innovationszentrum eröffnet hat, keine Zeit und erzählt Klaus noch am Weg zu seinem Büro von einem Programm namens FlyUSA, das weltweit mit Investoren kooperiert. „Neben zahlreichen Mentorings und Workshops hast du hier die Möglichkeit, die Weiterentwicklung der Wichtel-App zu pitchen und Partner für die Xmas-Transformation ins Metaverse zu finden.“ Klaus war beeindruckt. Von Matthias Schlaumanns Beratungskompetenz hatte er schon in den zahlreichen Online-Werbevideos gehört, mit denen er, seit er ihn zum ersten Mal gemoogelt hatte, regelrecht bombardiert worden war. Nun konnte er endlich selbst vom Wissen und Netzwerk des „Berufung Bürgertum“-Gründers profitieren.  

Als Weihnachtsmann Klaus zwei Stunden später wieder in die Geschenkewerkstatt zurückkehrt, ist alles fixiert: Er wird am FlyUSA-Programm teilnehmen und bereits morgen nach New York aufbrechen, um im Big Apple nach Investoren und Partnern zu suchen. Schnell trommelt Klaus sein Digitalisierungsteam zusammen. „Wo ist Petrus?“, will Klaus wissen. „Die da oben haben ihn wieder ins Home-Office geschickt“, berichtet Ruprecht. „Er soll jetzt dauerhaft remote arbeiten.“ „Und das ausgerechnet jetzt, wo wir unsere gesamte Manpower brauchen, um unser Pitchdeck up to scratch zu bringen? Er muss sofort herkommen!“ Klaus ist verärgert, aber auch mächtig stolz auf seine internationale Ausdrucksweise, die er sich mithilfe von Matthias Schlaumann in Rekordtempo angeeignet hat. Marie kann sich ihr Lachen nicht verkneifen. „Keine Sorge, Weihnachtsmann! Mit der Präsentationssoftware von pretono können wir dank zentralem Datenmanagement auch von unterschiedlichen Standorten aus zusammenarbeiten. Petrus muss also nicht extra herfliegen. So sparen wir jede Menge Zeit.“ 

Mit seinem XmasBook und einer gigantischen Ladung Plätzchen im Gepäck klettert Klaus verschlafen in den Tekla XAE-12. Gemeinsam mit Marie, Gabriel, Ruprecht und Petrus hat er die ganze Nacht durchgearbeitet und nicht nur das Pitchdeck für die Wichtel-App perfektioniert, sondern auch eine Präsentation zum Thema „Weihnachten im Metaverse“ erstellt. Er war beeindruckt, was sein Team in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt hatte. Gerne hätte er es in den Big Apple mitgenommen. Doch nun mussten sich die vier auf die Weiterentwicklung der App konzentrieren, Softwareentwickler rekrutieren und Findus beim Kategorisieren, Verpacken und Matchen der Preloved Presents helfen. Als der Weihnachtsmann schließlich in die Sportsitze sinkt, ist er so müde, dass er sich gar nicht mehr über sein ungeliebtes Gefährt echauffieren kann. Erschöpft drückt er auf „Autopilot“, lehnt sich zurück und fällt in einen tiefen, traumlosen Schlaf. 

Wummm! Klaus wird von einem dumpfen Aufprall geweckt. Sein Herz rast. Ein schneller Blick aus dem Fenster verrät ihm, dass er sich in einer Garage befindet. Wenn er mit Rudolph und seinem Schlitten durch die Nächte flog, wusste er immer sofort, in welcher Stadt er sich gerade befand. Schließlich landeten sie stets auf dem Dach des höchsten Hauses und hatten so immer einen fantastischen Ausblick auf die Umgebung.
Klaus sucht nach einem Anhaltspunkt für seinen Aufenthaltsort, doch hier prangt nur ein rotes Schild mit der Aufschrift „Tekla Supercharger“ über der Windschutzscheibe. Ob er wohl schon in New York angekommen war? Umständlich klettert der Weihnachtsmann aus dem Auto und  tritt ans Tageslicht. Ein gelbes Taxi rast an ihm vorbei. Er liest das Straßenschild: 212 East 47th Street. Tatsächlich, er ist im Big Apple und wenn er sich nicht täuscht, nur wenige Blocks vom Times Square und dem North Pole Trade Commission Center entfernt, wo das FlyUSA-Programm stattfinden wird. 

Fortsetzung folgt in Adventkalender-Türchen #19
Diese Geschichte wurde für presono.com verfasst.