Der Weihnachtsmann stapft Richtung Westen. Mittlerweile herrscht auch im Big Apple tiefster Winter und der Wind pfeift eisig durch die Straßen und Avenues. Obwohl er vom Nordpol einiges gewohnt ist, setzt ihm die feuchte Kälte etwas zu. Mit klammen Fingern zieht er sich seine Mütze über die Ohren und steckt den dicken roten Wollschal, den Frau Klaus extra noch für ihn gestrickt hat, in seinen Mantel. Auf seinem Weg passiert er das südlich gelegene Metlife-Building, nördlich blitzt das Rockefeller Center zwischen den Häuserschluchten hervor. Klaus ist begeistert, normalerweise sieht er die Städte alle nur aus der Vogelperspektive. Endlich kann er das Citylife hautnah erleben. Als er nach etwa 15 Minuten am Times Square ankommt, ist seine Nase rot vor Kälte und sein weißer Bart steif gefroren. Er bestaunt die gigantischen, leuchtenden Billboards und siehe da, auf einem der XXL-Bildschirme flimmert die neue Weihnachtskampagne von CocaRola. Stolz betrachtet er den neuen Werbefilm. Seine schauspielerischen Fähigkeiten wurden von Jahr zu Jahr besser. Als Klaus den Abspann liest, zuckt er zusammen: CocaRola und der Weihnachtsmann bringen Weihnachten ins Metaverse. Melden Sie sich jetzt auf cocarola.com an und feiern Sie ein Fest, das spektakuläre Erlebnisse und fantastische Geschenke frei von den Gesetzen der Schwerkraft und gesellschaftlichen Erwartungen zu Ihnen bringt. 

Wütend tritt Klaus gegen eine Reklametafel. Erst gestern hat er den Beteiligungsvertrag mit der Metaverse-Klausel unterzeichnet und heute flimmert diese Info bereits über alle Werbebildschirme. CocaRola hat das also von langer Hand geplant. Dass er von einem jahrzehntelangen Partner so gelinkt wurde, versetzt den Weihnachtsmann in Rage. Doch er musste sich beruhigen. Das FlyUSA-Programm würde bald starten und er sollte gleich vor ein paar Investoren pitchen. Klaus atmet tief durch und macht sich auf den Weg zum North Pole Trade Commission Center, das nur einen halben Block vom Times Square entfernt liegt. Ehe Klaus in den Fahrstuhl steigt, wird er – wie am Flughafen – durch eine Sicherheitskontrolle geschleust. Nachdem sein XmasBook und sein Sack voll Plätzchen ausgiebig durchleuchtet worden sind, bekommt Klaus einen Security-Sticker für seinen Seesack und darf in den Aufzug steigen, der ihn in nur wenigen Sekunden ins zweiunddreißigste Stockwerk bringt. Dort herrscht reges Treiben. „Herr Klaus, wir haben bereits auf Sie gewartet.“ 

Eine freundliche Dame geleitet den Weihnachtsmann in einen großen, gläsernen Meetingraum. Dort sitzen mindestens zwanzig Männer und Frauen in grauen Anzügen und schicken Kostümen um einen überdimensionierten Besprechungstisch. Vor ihnen liegen schwere Notizblöcke und alle haben einen dieser eleganten Montnoir-Füller in der Hand. Matthias Schlaumann hatte Klaus bereits auf dieses Szenario vorbereitet. Dennoch wird der Weihnachtsmann mit einem Mal wahnsinnig nervös. Mit zittrigen Händen schließt Klaus sein XmasBook an den gigantischen Bildschirm an, der beinahe die gesamte Wand hinter ihm ausfüllt, wählt sich ins WLAN ein und öffnet seine Präsentation.
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wieviele Weihnachtsgeschenke jedes Jahr ungenutzt in der hintersten Ecke eines Schrankes, oder schlimmer noch, im Müll landen? Es sind gigantische 1,75 Millionen Päckchen! Mein Name ist Weihnachtsmann Klaus und ich habe gemeinsam mit meinem Team eine App entwickelt, die genau dieses Problem löst.  

Nachdem Klaus seine anfängliche Nervosität überwunden hat, kommt er richtig in Fahrt. Er berichtet von Wertstoffkreislauf, CO2- und Kosten-Einsparung, Wunschpartnern wie Cbay, willbesitzen und Bringando, dem „buy now, pay later“-Ansatz und der Freude am Schenken und der Freude Gutes zu tun. Als er mit seiner Präsentation fertig ist, prasseln eine Unmenge an Fragen auf ihn ein. Was kostet die App? Wie soll das Geschäftsmodell künftig skaliert werden? Wieviel Wachstum ist für die nächsten fünf Jahre geplant? Von seinem Team perfekt auf diese Fragen vorbereitet, hat der Weihnachtsmann auf alles eine Antwort. Als er gerade dazu ansetzt, sich bei den potentiellen Investoren für das Gespräch zu bedanken, meldet sich eine Dame ganz hinten am Tisch zu Wort. „Wie sehen Ihre Pläne bezüglich Metaverse aus? Kann man dieses Konzept auch virtualisieren?“ Klaus kannte diese schrille Stimme. Es war Champagna Zisch von CocaRola.

Umständlich verknotet Klaus seine Finger. Er hatte keine Ahnung, wie man Preloved Presents im Metaverse verkaufen könnte. Wenn er ehrlich war, wusste er bis jetzt nicht mal wirklich, was das Metaverse überhaupt war. Anstatt auf die Frage zu antworten, öffnet Klaus noch einmal sein XmasBook und drückt auf play. Sofort wird die „Virtual Winterwonderland“-Präsentation abgespielt, die Marie gestern noch schnell vorbereitet hat. Froh über diesen Einfall hofft Klaus, dass sein kleines Ablenkungsmanöver funktioniert. Am Bildschirm erscheint eine traumhafte Schneelandschaft, per Mausklick öffnen sich Adventkalendertürchen, ein „Mariah Carey“-Avatar trällert „Santa Claus Is Comin’ to Town“, eine Weihnachtsmann-Animation klettert durch einen Schornstein, unter einem festlich geschmückten Baum werden Meta-Presents verteilt, auf einem Cyber-Basar werden Wunschzettel ausgefüllt und Geschenke getauscht.
Moment mal, den letzten Teil der Präsentation kannte Klaus noch gar nicht. Den muss seine schlaue Elfendame nachträglich eingefügt haben. Doch wie war das bloß möglich? Klaus hatte sein XmasBook mitgenommen, nachdem die Präsentation fertig war und seither nicht mehr aus der Hand gegeben. 

Champagna Zisch nickt zufrieden. Gemeinsam mit den anderen Investoren begibt sie sich in den Pausenraum, wo Risiko und Nutzen abgewogen werden. Unsicher, was er als Nächstes tun sollte, blickt sich Weihnachtsmann Klaus um. „Hallo, mein Name ist Martin Behrlin. Ich bin einer der Gründer von pretono und wollte die Gelegenheit nutzen, um mich persönlich vorzustellen.“ Klaus schüttelt die Hand des jungen Mannes, der schnurstracks auf ihn zugelaufen kommt. „Meine Mitarbeiter haben mir berichtet, dass Sie unser Tool für Ihre Digitalisierungsinitiative nutzen. Das macht uns natürlich mächtig stolz. Wenn wir Sie irgendwie unterstützen können, lassen Sie es uns wissen. Ich bin im Rahmen des FlyUSA Programms noch zwei Wochen in New York. Zögern Sie nicht, mich zu kontaktieren.“ Dankbar nimmt Klaus die türkisfarbene Visitenkarte entgegen und will sich gerade nach dem letzten, wie von Geisterhand hinzugefügten Präsentationsteil erkundigen, als ihm schon die nächste Hand entgegengestreckt wird. 

Ehe sich der Weihnachtsmann versieht, hat er einen ansehnlichen Stapel Visitenkarten gesammelt. Der Gründer von Bitbär hat angeboten, ihn in Sachen Kryptowährung zu supporten und mit NFT-Experten zu vernetzen. Non-Fungible Token sind schließlich der letzte Schrei und perfekt für das Metaverse und die Disruption von Weihnachten. Obwohl Klaus keine Ahnung hat, wovon diese jungen Leute sprechen, nickt er wissend. In der Start-up-Welt scheint die digitale Transformation von Weihnachten ein echter Hit zu sein. Mit so viel Hilfe und Zuspruch hatte er gar nicht gerechnet. Vielleicht liegen die da oben mit ihren Digitalisierungsforderungen doch nicht so falsch. Das Knurren seines Magens reißt Klaus aus seinen Gedanken. Seit seinem Aufbruch vom Nordpol hat er nichts mehr gegessen. Er fischt ein Plätzchen aus seinem Seesack und will sich gerade auf den Weg zum nächsten Burger-Restaurant machen, als er von einem weiteren Gesprächspartner zurückgehalten wird. 

„Tolle Idee , tolle Präsentation. Wir sind sehr an Ihrer Wichtel-App interessiert und würden Ihnen gerne ein Angebot machen.“ Der Mamazon-Innovationsmanager sieht den Weihnachtsmann mit erwartungsvollen Augen an. Klaus kann sein Glück kaum fassen, er hat tatsächlich jemanden mit seiner Präsentation überzeugt. Obwohl er innerlich vor Freude beinah zerspringt, behält er sein Pokerface. „Sepp Kezos ist ein großer Fan von Ihnen. Schließlich sieht er sich selbst als eine Art Weihnachtsmann, liefert er doch mit seinem Unternehmen jährlich weltweit mehrere Millionen Pakete aus. Dass sich ein Großteil davon für ein Second Life-Programm eignen würde, ist naheliegend. Ihre Wichtel-App würde also perfekt in unser Mamazon CRIME Programm passen. Ich freue mich daher, Ihnen 1.000.000 XmasDollar für einen Buy-out anbieten zu können. Und keine Sorge, Sie bleiben natürlich das Gesicht des Preloved Presents-Matchmakers – so würden wir die App übrigens umbenennen und das Konzept auch direkt in unser Metaverse integrieren. Eine Due Diligence ist klarerweise obligatorisch, aber das haben Sie sich sicher schon gedacht. Ich denke, das ist ein fairer Deal, von dem wir beide garantiert profitieren werden.“ 

Klaus raucht der Kopf. Das Angebot klingt wirklich seeehr verlockend, allerdings hat er keine Ahnung, was zum Teufel Buy-out und Due Diligence bedeuten und welche Auswirkungen das alles auf die Weihnachts-GmbH hat.Wie gerne hätte er jetzt seine Digitalisierungsbeauftragte Elfin Marie bei sich, die ihm all diese komplizierten Business-Begriffe in Echtzeit übersetzen könnte. „Vielen Dank, das Angebot ehrt mich wirklich sehr. Ich werde das gerne mit meinem Team besprechen und mich wieder bei Ihnen melden.“ Klaus macht sich auf den Weg Richtung Aufzug. Sein Magen knurrt mittlerweile so laut, dass es alle Anwesenden hören können. Plötzlich schneidet ihm jemand den Weg ab. Es ist Champagna Zisch. 

„Was für eine beeindruckende Präsentation. Ich konnte nicht anders, als diese direkt an Fakebook-Gründer Mark Salztal weiterzuleiten. Wir haben zusammen in Harpvard studiert und realisieren immer wieder gemeinsame Projekte. Er ist von Ihrem Meta-Xmas-Universe und Ihrer XinderIdee für Preloved Presents begeistert und möchte mit einer Mehrheitsbeteiligung ins Weihnachtsbusiness einsteigen“, flötet die CocaRola-Marketingleiterin. „Kommen Sie doch bitte bald in mein Büro, damit wir einen passenden Marketingplan inklusive Social Media Kampagne ausarbeiten können.“ Klaus ist sprachlos. Dass er innerhalb kürzester Zeit Angebote von zwei Big Playern bekommen hat, macht ihn unglaublich stolz. Doch noch während Frau Zisch enthusiastisch weitere Zukunftspläne schmiedet, breitet sich ein mulmiges Gefühl in seiner Magengegend aus. Wieviel Einfluss würde er künftig noch auf das Weihnachtsfest haben? Bisher musste er sich nur mit denen da oben abstimmen. Sollten hier nun weitere Instanzen hinzukommen? Hatte er womöglich einen Fehler begangen? 

Verwirrt schultert Klaus seinen Seesack und fährt mit dem Aufzug ins Erdgeschoss. Auf dem Weg nach unten beschließt er, den Rückweg zum Nordpol anzutreten. Es war ja wirklich spannend am FlyUSA-Programm teilzunehmen, aber für ihn war dieses Investment-Abenteuer nun zu Ende. Er war erst einen Tag hier und fühlte sich schon komplett ausgelaugt. Das nächste Mal würde er Marie schicken. Als Digital Native fand sich die Elfin in dieser Start-up-Welt bestimmt bestens zurecht.
Doch bevor er wieder in den Tekla XAE-12 steigen kann, musse er unbedingt noch etwas essen. Inzwischen war er so hungrig, dass er seinen Gürtel bereits enger schnallen konnte. Er legt einen kurzen Zwischenstopp bei „Five Guys“ ein, holt sich am Take away-Schalter ein Cheeseburger-Menü in Jumbo-Größe und macht sich auf den Weg zur Garage. Dort angekommen, zückt der Weihnachtsmann seine Mustercard. Sage und schreibe 55 Dollar muss er für 70 Kilowattstunden an der E-Zapfsäule hinblättern. Davon kann er Rudolph und die Rentiere einen ganzen Monat lang versorgen. Kopfschüttelnd steigt er in seinen Cyber-Schlitten, tippt umständlich auf dem Bordcomputer herum, bis das Navigationssystem den Nordpol als Ziel anzeigt und drückt auf Autopilot. 

Als er wieder sicher im Weihnachtsdorf landet, warten Knecht Ruprecht, Erzengel Gabriel, Himmelspförtner Petrus, Ober-Elf Findus und Elfin Marie bereits auf Klaus. „Wie schön ist es, wieder zu Hause zu sein!“ Stürmisch umarmt der Weihnachtsmann seine fleißigen Helfer. „Ihr werdet nicht glauben, was ich in New York alles erlebt habe!“ „Wir wissen bereits Bescheid.“ Marie tritt aufgeregt von einem Fuß auf den anderen. „Ein Start-up-Gründer aus dem FlyUSA-Programm hat gehört, dass du Investmentangebote von Mamazon und Fakebook bekommen hast. Ihm war nicht wohl dabei, dass unser nachhaltiger Weihnachtsgedanke in Zukunft von diesen Megakonzernen dominiert wird – also hat er kurzerhand einen Online-Spendenaufruf gestartet. Es ist bereits mehr zusammengekommen, als wir benötigen und es wird von Minute zu Minute mehr. Außerdem haben sich schon unzählige Freiwillige gemeldet, die mithelfen wollen, Weihnachten ins Metaverse zu transformieren.“ Klaus fällt ein Stein vom Herzen. Erleichtert atmet er tief durch, während ihm Knecht Ruprecht die Hand auf die Schulter legt. „Und das Beste kommt noch: Die da oben sind so zufrieden, dass wir in Sachen Digitalisierung ab sofort freie Hand haben.“ Der Weihnachtsmann lacht freudig auf. „Dann bleibt mir wohl nur noch eines zu sagen: Fröööööhliche Weihnachten!“

Diese Geschichte wurde für presono.com verfasst.