Es war Anfang Dezember und der Wald hatte sich in sein neues Kleid gehüllt. Die Laubbäume hatten bereits alle Blätter abgeworfen, die nun den immergrünen Nadelbäumen zu Füßen lagen. Ihre schönen bunten Herbstfarben hatten sie ebenfalls bereits verloren, und so breitete sich ein brauner Laubteppich über den frostigen Waldboden aus. Die Tannenbäume genossen diese Zeit. Nun konnten auch sie einmal so richtig glänzen. Vor allem dann, wenn sie als Weihnachtsbaum auserkoren wurden. Doch nicht allen Tannen wurde diese Ehre zuteil. Nur die allerschönsten wurden ausgewählt. Also reckten und streckten die Nadelbäume ihre untersten Astreihen so weit sie konnten und befreiten nicht nur sich selbst, sondern auch den Boden mit wedelnden Bewegungen von kleinen Zweigen und vertrocknetem Blattwerk. Schließlich waren bereits die letzten Tage angebrochen, an denen die schönsten Tannen zu Weihnachtsbäumen gekürt wurden – und da musste einfach alles stimmen.
So verließen jeden Tag mehrere Nadelbäume den Wald. Doch ein Baum blieb stets unbeachtet. Es war die kleine Tanne, die nun bitterlich weinte. Und weil ihre Zweiglein vor lauter Schluchzen zitterten, fielen nicht nur eine Menge kleiner Tannennadeln zu Boden, sondern schließlich auch das Eichhörnchen, das es sich bei der kleinen Tanne für den Winter gemütlich gemacht hatte. „Was ist denn, kleine Tanne? Warum weinst du denn so bitterlich?“, wollte das Eichhörnchen wissen. „Ich möchte so gerne ein Weihnachtsbaum werden“, antwortete die kleine Tanne. „Aber dafür bin ich nicht nur viel zu klein, sondern auch zu krumm. Meine Nordseite ist zu spärlich bewachsen und meine Spitze hat ein Reh angeknabbert.“ Traurig ließ die kleine Tanne ihre Äste hängen.
„Ehrlich gesagt habe ich nie verstanden, was an Weihnachtsbäumen so besonders ist. Für mich sehen sie alle gleich aus. Kerzengerade, symmetrisch, langweilig.“ Das Eichhörnchen machte eine Handbewegung, als würde es eine lästige Fliege in der Luft wegwischen. „Aber sie sind auch wuuuunderschön“, schwärmte die kleine Tanne. „Und sie werden mit funkelnden Lichtern und allerlei Schmuck dekoriert. Wie gern würde ich das auch einmal erleben.“ Das Eichhörnchen überlegte. Auch wenn es den Zauber der Weihnachtsbäume nicht verstand, wollte es der kleinen Tanne helfen. Schließlich hatte ihm die kleine Tanne nicht nur Unterschlupf gewährt, sondern ihm auch immer wieder kleine Tannenzapfen für seinen Wintervorrat geschenkt. „Sei nicht mehr traurig, kleine Tanne. Ich habe eine gute Idee. Bald bin ich wieder da“, rief das Eichhörnchen dem Bäumchen zu, ehe es flink den Stamm einer Fichte empor kletterte und mit großen Sätzen kunstvoll von Baum zu Baum segelte, bis es außer Sichtweite war.
Als das Eichhörnchen wieder auftauchte, war die Dämmerung bereits hereingebrochen. Geschickt turnte es zwischen den Bäumen umher, wobei es immer wieder kurz innehielt und sich besorgt umsah. Da bemerkte die kleine Tanne, dass das Eichhörnchen nicht allein war. Es wurde von zahlreichen funkelnden Pünktchen und zwei Vögelchen begleitet. „Das sind meine Freunde aus dem Winterwunderwald – die Spatzenkinder Piccolo und Primo und Familie Glühwürmchen. Sie leben auf der anderen Seite des Flockenbachs“, stellte das Eichhörnchen seine Gefährten vor.
„Ich freue mich, eure Bekanntschaft zu machen.“ Die kleine Tanne wippte zur Begrüßung mit ihren Zweigen, auf denen sich Familie Glühwürmchen auch sofort niederließ. Dicht gefolgt von Piccolo und Primo, die in regelmäßigen Abständen kleine Strohsterne auf der kleinen Tanne verteilten. „Die haben wir aus den Resten unseres Sommernestes gebastelt“, zwitscherte Primo und hängte einen besonders schönen Stern an die angeknabberte Spitze der kleinen Tanne. „Na, wenn das nicht der schönste Weihnachtsbaum ist, den ich je gesehen habe“, lächelte das Eichhörnchen und flitzte auf seinen Platz auf der kleinen Weihnachtstanne, die ihr Glück kaum fassen konnte und stolz wie nie ihre Zweige in die kühle Winternacht hinausstreckte.
Die Inspiration für diese Geschichte war der schöne alte Christbaumschmuck meiner lieben Oma.