Auf einem seiner Streifzüge durch die frostigen Winternächte machte der kleine Stern auf einem alten Kirchturm Rast. „Das ist ein guter Platz, hier bleibe ich ein Weilchen“, murmelte der kleine Stern und blickte auf das verschlafene Dorf unten im Tal, in dem die Zeit still zu stehen schien. „Das ist aber auch mein Platz“, gurrte eine struppige Eule, die es sich auf dem Dach des alten Kirchturms gemütlich gemacht hatte. „Und meiner ebenso!“, fiepte ein grauer Mäuserich, während er aus dem warmen Strohbett kletterte, das sich die Eule mühevoll zurechtgezupft hatte. „Wir wohnen schon eine halbe Ewigkeit hier, aber dich haben wir noch nie gesehen. Wer bist du und woher kommst du?“ „Ich bin der kleine Stern. Ich komme vom nächtlichen Himmelszelt. Mein Job ist es, dort oben mit den vielen anderen Sternen zu leuchten“, stellte sich der kleine Stern vor. „Ich bin das Eichhörnchen und ich bereite mich gerade auf den Winterschlaf vor, aber bei so viel grellem Licht kann ich unmöglich die Augen zutun. Was machst du hier auf unserem Kirchturm?“ „Oh, ich bitte um Verzeihung. Ich wollte mich eigentlich nur kurz ausruhen, bevor ich weiterfliege. Ich bin nämlich auf der Suche nach der Weihnacht.“ Das Eichhörnchen krümmte sich vor Lachen, verlor das Gleichgewicht und wäre beinahe vom Kirchturm gekullert. „Vergesst meinen Winterschlaf. Diese Geschichte muss ich hören. Du willst also die Weihnacht finden“, kicherte der rotbraune Fellknäuel. „Ja, Mutter Mond und Vater Abendstern haben mir davon erzählt. Es muss einfach magisch sein. Aber wenn ich in das verschlafene Dorf unten im Tal blicke, nehme ich an, dass ich die Weihnacht hier nicht finden kann.“
Die Tiere schwiegen. Tatsächlich war der Weihnachtszauber in den vergangenen Jahren immer mehr verflogen. Früher erleuchteten funkelnde Lichter die Straßen, Kinder zogen von Haus zu Haus und sangen Weihnachtslieder und um Mitternacht kamen alle Dorfbewohner in die Kirche, um gemeinsam die Geburt Jesu Christi zu feiern. Der stimmungsvolle Klang der Orgel erfüllte die alten Gemäuer, die Menschen rückten näher zusammen und man spürte die Kraft von echtem Zusammenhalt und wahrer Liebe. Doch davon war nicht mehr viel übrig geblieben. Die Menschen blieben zusehends unter sich, erleuchteten nur noch ihre eigenen Fenster und verbrachten den Heiligen Abend zu Hause.
„Warte, kleiner Stern“, rief der Mäuserich und kletterte flink zum kleinen Stern auf die Kirchturmspitze. „Bitte bleib noch kurz. Möglicherweise kannst du hier doch noch die Weihnacht finden. Könntest du dafür etwas heller leuchten?“ Fragend blickte der kleine Stern die Eule und das Eichhörnchen an. Die beiden wussten sofort, welchen Plan der Mäuserich ausgeheckt hatte und nickten dem kleinen Stern freudig aufgeregt zu. „Okay, dann haltet euch jetzt besser die Hand vor die Augen“, befahl der kleine Stern und schickte mit voller Strahlkraft seinen silbernen Glanz ins dunkle Tal hinab, der das ganze Dorf in ein funkelndes Licht hüllte. „Gut so?“, wollte der kleine Stern wissen. „Fantastisch!“, jubelten die Tiere.
Es dauerte nicht lange, bis die ersten Dorfbewohner neugierig aus ihren Häusern kamen. So etwas hatten sie noch nie gesehen. Die Kirchturmspitze schien förmlich zu glühen. Immer mehr Menschen strömten auf die Straßen und liefen den schneebedeckten Weg zur Kirche hinauf, bis sich schließlich alle Bewohner auf dem Kirchplatz versammelt hatten. „Schau Mami, wie schön der Weihnachtsstern leuchtet“, rief ein kleines Mädchen aufgeregt. Jetzt sahen es auch die anderen Dorfbewohner. Das helle Licht kam tatsächlich vom Weihnachtsstern auf dem Kirchturm. Sie konnten es kaum glauben. Staunend rückten sie immer näher zusammen und plötzlich stimmte jemand „Stille Nacht, heilige Nacht“ an. Kinder tollten durch den knisternden Schnee, ein Dorfbewohner schenkte Glühwein aus einer Thermoskanne aus, ein anderer verteilte Plätzchen. Die Menschen herzten sich und wünschten einander „Frohe Weihnachten“.
„Du hast uns die Weihnacht zurückgebracht, wer hätte das für möglich gehalten?“, bedankten sich Eichhörnchen, Eule und Mäuserich beim kleinen Weihnachtsstern, der seinen Stolz nicht verbergen konnte und von da an noch ein bisschen heller strahlte.